Aktuelles Heft Concilium

59. Jahrgang - Heft 5 | Dezember 2023

Theologie und höhere Bildung

Michel Andraos, John Baptist Antony, Geraldo Luiz De Mori und Stefanie Knauss

Die Theologie ist eine der ältesten akademischen Disziplinen. Viele Universitäten wurden in verschiedenen Teilen der Welt ursprünglich als Einrichtungen für das Studium der Theologie gegründet. Heute jedoch sieht sich die Theologie mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, was ihren derzeitigen und künftigen Platz in der Hochschulbildung sowie in den Kirchen und der Gesellschaft insgesamt angeht: Manche stellen ihren Stellenwert als akademische Disziplin infrage, andere bezweifeln den Wert ihrer Beiträge für das Leben der Kirche. Ein weiteres Problem ist die vielerorts geringe Zahl der Studierenden, und dies hat inzwischen Auswirkungen auf die Finanzierung der Fachbereiche und Ausbildungsstätten. Diese theologischen Einrichtungen haben wohl auch zunehmend damit zu kämpfen, ihren Auftrag und ihr Profil in einer pluralen Welt, im Zusammentreffen mit anderen Konfessionen, Religionen und säkularen Weltanschauungen zu definieren. Mancherorts haben diese Probleme zur Schließung theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten oder zu deren Umwidmung in religionswissenschaftliche Fakultäten geführt. Sowohl Dozierende und Studierende der Theologie als auch Hochschulverwaltungen fragen sich, ob die Theologie ihren Platz an den Hochschulen behalten kann und wie sie ihre Rolle (neu) definieren sollte.
Diese Situation erfordert ein erneutes Nachdenken über die Theologie als akademische Disziplin und als Studienfach mit spezifischen Methoden sowie darüber, was sie zum Vorankommen von Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft insgesamt beitragen kann. Die vorliegende Ausgabe von CONCILIUM will sich an diesem Nachdenken beteiligen, und zwar sowohl hinsichtlich der institutionellen Aspekte und des Orts der Theologie in der Hochschulbildung als auch hinsichtlich ihrer Methodik, ihrer erkenntnistheoretischen Ansätze und ihres interdisziplinären Zusammenwirkens mit anderen Studienbereichen innerhalb der Grenzen und Möglichkeiten der Hochschulen. Ziel dieser Ausgabe ist es also nicht, die Bedeutung der Theologie im Allgemeinen zu diskutieren, sondern sie speziell als Disziplin im institutionellen Kontext der Hochschulbildung in den Blick zu nehmen. Wie die in diesem Heft versammelten Beiträge aus verschiedenen Weltgegenden und kulturellen Kontexten zeigen, sind die Fragen und Herausforderungen sicherlich von Region zu Region unterschiedlich – oft sogar innerhalb desselben Landes von einer Institution zur anderen und von einem konfessionellen Kontext zum anderen.
Die ersten Artikel dieser Ausgabe befassen sich mit unterschiedlichen regionalen Perspektiven, um die kontextuelle Dimension der Theologie in der Hochschulbildung ins Blickfeld zu rücken. Eine Reihe von Theologinnen und Theologen aus aller Welt wurde eingeladen, über die Herausforderungen nachzudenken, vor denen die Theologie in der Hochschulbildung steht, und darüber, wie ihre Einrichtungen diese Herausforderungen bewältigen. Ausgehend von ihrem institutionellen und kulturellen Kontext und in einem narrativ-reflexiven Ansatz gehen sie u. a. folgenden Fragen nach: Vor welchen Herausforderungen, Fragen oder Problemen stehen theologische Einrichtungen in Bezug auf ihren Ort und ihre zukünftige Rolle in der Hochschulbildung? Welche Initiativen wurden in den verschiedenen Kontexten ergriffen, um diese Herausforderungen zu bewältigen? Welchen Beitrag kann die Theologie als Studienfach künftig leisten?
Der Beitrag von Francis Appiah-Kubi und Nora K. Nonterah betrachtet von Ghana aus die theologische Hochschulausbildung im Afrika südlich der Sahara, insbesondere im anglophonen Westafrika. Die Autoren erörtern die Zukunft des Theologiestudiums an öffentlichen Universitäten, insbesondere in Ghana, wo ihm die historische Verbindung der Institutionen mit einer religiösen Tradition fehlt, obwohl die Präsenz der Theologie an öffentlichen Universitäten einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl leisten könnte.
In Lateinamerika, so berichtet eine Gruppe von Theologen aus dieser Region, hat die Theologie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine bedeutende Entwicklung erlebt und konnte sich in Forschungs- und Bildungseinrichtungen etablieren. Während jedoch die Trennung zwischen Kirche und Staat in den meisten Ländern dieser Region dazu geführt hat, dass Religion an staatlichen Universitäten ausschließlich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive studiert wird, wird Theologie selbst immer noch hauptsächlich in konfessionellen Einrichtungen und Universitäten, Diözesanseminaren und Ausbildungszentren von Ordensgemeinschaften gelehrt. Die sechs Autoren und Autorinnen aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas – Ernesto Palafox aus Mexiko, Olvani Sánchez Hernández aus Kolumbien, Geraldo De Mori aus Brasilien, Birgit Weiler aus Peru, Loreto Moya Marchant aus Chile und Marcela Mazzini aus Argentinien – geben einen Überblick über die Situation der Theologie im Hochschulbereich in ihren Regionen.
In den Vereinigten Staaten beobachtet Grant Kaplan, dass die katholische Theologie im Hochschulbereich heute Gefahr läuft, ihren laizistischen und ökumeneorientierten Charakter zu verlieren. Zwar erlebte die theologische Ausbildung an katholischen Hochschulen und Universitäten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Blütezeit, aber heute befindet sich das spezifisch katholische Profil der Theologie an diesen Orten, so Kaplan, auf dem Rückzug, und als Gegenreaktion besteht die Gefahr, dass die katholische Theologie sich wieder dem vorkonziliaren Modell zuwendet.
Ausgehend von seinen Erfahrungen als Rektor der katholischen Universität in Pécs erörtert Gusztáv Kovács die Veränderungen, die sich in der theologischen Hochschulbildung in Ungarn vollzogen haben. Am konkreten Beispiel seiner eigenen Hochschule kritisiert Kovács die Bewertungsmethoden, die auf Immatrikulationszahlen und anderen standardisierten Parametern zur Bewertung von Hochschulen basieren. In seinen Augen wäre es wichtiger, die Vision einer theologischen Hochschule zu analysieren und zu bewerten, wieweit sie in der Lage ist, diese Vision zu verwirklichen. Als Beispiel führt der Autor die von seiner Institution entwickelte Vision an, die von grundlegenden theologischen Prinzipien ausgeht. Er nennt hier u. a. die Option für die Armen, Tradition und Reform, Sehen – Urteilen – Handeln, Vision und Orientierung, Lachen und Hoffnung sowie den Glauben an das Unerwartete.
Joseph Titus aus Bangalore erörtert die Situation der theologischen Fakultäten in Indien mit einigen Seitenblicken auf andere asiatische Länder. Ein Grundproblem ist die fehlende Anerkennung der Theologie als Disziplin an staatlichen Universitäten seitens der Regierung. Des Weiteren bedarf es dringend einer Neuausrichtung der theologischen Ausbildung auf der Grundlage einer Auseinandersetzung mit den realen Kämpfen und Alltagserfahrungen der Menschen; es braucht finanzielle Studienförderung, damit auch Arme ein Theologiestudium ins Auge fassen können, und unbedingt eine tiefere Einsicht seitens kirchlicher Behörden, dass fundierte theologische Studien für die Kirche von hohem Wert sind.
Nach dieser globalen Umschau werden zentrale Themen hinsichtlich der aktuellen Situation der Theologie im Hochschulbereich erörtert. Sie sind kontextübergreifend relevant, auch wenn die Autoren sie aus ihren jeweiligen Erfahrungen, Kontexten und wissenschaftlichen Kompetenzen heraus angehen. Die Themen wurden auf der Grundlage einer Umfrage mit Unterstützung der Herausgeber und Herausgeberinnen von CONCILIUM ermittelt. Zu diesen Themen gehören erstens die Methoden und Erkenntnistheorien der Theologie, einschließlich Fragen der Interdisziplinarität, der Beziehungen zwischen theologischen Fakultäten und anderen Disziplinen im universitären Kontext, insbesondere den Religionswissenschaften, und der Auswirkungen institutioneller Gegebenheiten auf die Methoden und Erkenntnistheorien in Lehre, theologischer Forschung und Wissenschaft.
Hinsichtlich eines möglichen interdisziplinären Beitrags der Theologie an den italienischen Universitäten erörtert Carmelo Dotolo die Rolle der Theologie als Anbieterin eines anderen kognitiven Raums für die Erkenntnis der Wirklichkeit, in dem neben ethischen, psychologischen, ökologischen und politischen Aspekten auch Fragen nach dem Sinn des Daseins thematisiert werden und so zu einer kritischen Bildung beitragen, die er als Hauptaufgabe der Hochschulbildung identifiziert. Als theologische Methode schlägt Dotolo die kritische Korrelation mit der soziokulturellen Realität vor, was er als »Epistemologie der Grenze« bezeichnet und als interdisziplinäre Übung charakterisiert, die einen phänomenologisch-komparativen Ansatz erfordert.
Darren Dias, geschäftsführender Direktor der Toronto School of Theology (TST), eines ökumenischen Zusammenschlusses von sieben theologischen Fakultäten an der Universität Toronto, beschreibt die potenziellen Entwicklungen der Theologie an der TST angesichts ihrer besonderen institutionellen Struktur. Der Autor erläutert die Situation angesichts dieser einzigartigen Konstellation mehrerer Institutionen im Rahmen einer großen Forschungseinrichtung, verbunden mit den spezifisch kanadischen sozialen und politischen Realitäten der Einwanderung und den Fragen, die sich aus der Auseinandersetzung mit der kolonialen Besiedlung Kanadas ergeben. Diese Situation erfordert ein Überdenken der traditionellen Vorstellungen von Christentum und seiner theologischen Erkenntnistheorien und Methoden sowie eine Reflexion darüber, wie diese die Prioritäten und Loyalitäten der Theologie bestimmen sollten.
Zweitens geht es in diesem Bereich des Hefts um die Beziehung der Theologie zur Kirche, einschließlich der Fragen, die sich aus den Beziehungen zwischen theologischen Schulen und Fakultäten mit Bischöfen, anderen Mitgliedern der kirchlichen Hierarchie und kirchlichen Dokumenten ergeben, die die Rahmenbedingungen für die theologische Hochschulbildung festlegen. Paul Béré, ursprünglich aus Burkina Faso und derzeit am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom tätig, geht diesem Fragenkomplex nach. Aus römisch-katholischer Perspektive stellt der Autor fest: Wenn es für die akademische Theologie schon schwierig ist, ihren Platz an den Hochschulen zu finden, dann ist es für die Theologie noch schwieriger, sich im kirchlichen Leben und in den kirchlichen Strukturen zu verwurzeln und dort Wirkung zu entfalten. Laut den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils besteht die Hauptaufgabe der Theologie darin, der Kirche und den kirchlichen Autoritäten zu helfen, sachkundige Entscheidungen zu treffen. Auf der Grundlage der Konzilsdokumente und kirchlichen Mahnschreiben, insbesondere von Veritatis Gaudium, reflektiert Béré über die Berufung und die prophetische Rolle der theologischen Ausbildung.
Drittens widmet sich dieser thematische Bereich den Beziehungen zwischen Theologie, Politik, Macht, Gesellschaft und Gemeinwohl. Gerald J. Beyer, der von seinen Erfahrungen in der US-amerikanischen Hochschulbildung berichtet, lobt, dass viele theologische Schulen und Fachbereiche in den USA ihr Engagement für das Gemeinwohl und die Auseinandersetzung mit drängenden Fragen wie Rassismus und Vorherrschaft der Weißen, Umweltzerstörung, wirtschaftliche Ungerechtigkeit und die Förderung von Gemeinden, die die ganze Vielfalt und Bandbreite der Identitäten ihrer Mitglieder respektieren, klar zum Ausdruck bringen. Beyer stellt jedoch fest, dass solche Bemühungen oft nicht zu den Ungerechtigkeiten an den Universitäten passen, die von theologischen Fakultäten entweder ignoriert oder sogar verschärft werden. Beyer fordert die zeitgenössische Theologie im Hochschulbereich auf, die Gerechtigkeit, die sie predigt, auch in ihren eigenen institutionellen Häusern zu praktizieren.
In ähnlicher Weise thematisiert Maricel Mena López von der Universidad Santo Tomás in Bogotá, Kolumbien, aus ihrer Perspektive als Schwarze, feministische Theologin die Mitschuld des kolumbianischen Bildungssystems und des lateinamerikanischen Bildungssystems im Allgemeinen am historischen Rassismus und den anhaltenden Epistemiziden. Auf der Grundlage einer Studie über theologische Studiengänge an Hochschulen in Kolumbien hinterfragt sie das Fehlen von Lehrkräften, Kursen, Programmen und Forschungsprojekten, die sich mit dem Wissen der Vorfahren und deren potenziellem Beitrag zum Kampf gegen den systemischen und strukturellen Rassismus in der theologischen Wissenschaft auseinandersetzen.
Die Autorin schlägt vor, dass theologische Fakultäten zu Orten werden, die den Antirassismus und das Wissen der Vorfahren fördern.
Viertens und letztens thematisiert dieser Themenbereich in diesem Heft die theologische Ausbildung im Zusammenhang mit dem interreligiösen Dialog. Hier blickt FX. Eko Armada Riyanto, Rektor der Widya Sasana School of Philosophy and Theology in Malang, Indonesien, auf die wichtige Rolle der katholischen Universitäten bei der Förderung des interreligiösen Dialogs in der vielfältigen Gesellschaft Indonesiens, sowohl durch verschiedene Initiativen und Zentren als auch durch die Entwicklung einer soliden Theologie der interreligiösen Begegnung. Das Erlernen des interreligiösen Dialogs an den Universitäten hat für Riyanto höchste Bedeutung, um den Menschen zu helfen, sich in einer zunehmend vielfältigen Welt zurechtzufinden, aber auch größere Vielfalt und Inklusion innerhalb der Universität selbst zu fördern.
2023 feiert die Föderation der Asiatischen Bischofskonferenzen (FABC) ihr Goldenes Jubiläum (das eigentliche 50-jährige Jubiläum sollte 2020 stattfinden, aber die Feierlichkeiten wurden aufgrund der Covid-19-Pandemie verschoben). Das Theologische Forum ist diesem Jubiläum gewidmet. Obwohl die Föderation auf Gemeindeebene und an der Basis nicht sehr bekannt ist, initiierte sie auf der Ebene des theologischen Diskurses die Entwicklung der kontextuellen Theologie, der inkulturierten Theologie und der interkulturellen Theologie und trug zum sogenannten »dreifachen Dialog« bei, nämlich zum Dialog mit der Kultur, den Religionen und den Armen Asiens. So hat sie zu einer neuen Art und Weise beigetragen, in Asien Theologie zu treiben und Kirche zu sein, und sie hat die Kirche auf diesem Kontinent zu einer asiatischen Kirche gemacht. In den beiden Beiträgen von Edmund Kee-Fook Chia und Mary Yuen zum Theologischen Forum wird dieser Beitrag der FABC erörtert und gewürdigt. Die Autoren bringen dabei ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass dieser auch die Basis erreichen möge, wenn die Föderation sich den neuen Herausforderungen stellt, die sich daraus ergeben, eine Ecclesia in Asia zu sein.
Aus dem Englischen übersetzt von Norbert Reck

Carmelo Dotolo, Theologie und Bildungsfragen. Plädoyer für ein kritisches und vergleichendes Denken.pdf

Maricel Mena Lopez, Rassismus in der Wissenschaft. Herausforderungen für eine befreiende theologische Ausbildung.pdf

Paul Bere, Theolgische Forschung und kirchliches Lehramt. Wie lässt sich der Dialog voranbringen.pdf

Zusammenfassungen des Heftinhalts.pdf

Concilium auf YouTube

 
 
 
Warenkorb
0 Artikel:0,00 EUR