Aktuelles Heft Concilium

59. Jahrgang - Heft 3 | Juli 2023

Göttliche Vorsehung. Jenseits des Paradigmas der Allmacht

Gusztáv Kovács, Daniel Franklin Pilario und Carlos Mendoza-Álvarez

Von Gott zu sprechen in Zeiten globaler Ungewissheit wird eine große Herausforderung für die christliche Theologie im zweiten Viertel des 21. Jahrhunderts. Und es wird noch dringlicher werden, über Gottes Gegenwart und Handeln, verstanden als göttliche Vorsehung, Rechenschaft abzulegen im Herzen spätmoderner Gesellschaften, denen es um menschliche Autonomie inmitten des hegemonialen Gesellschaftsmodells geht, das einerseits von dem Wunsch nach infantiler Allmacht geprägt ist und andererseits die extreme Zerbrechlichkeit und Endlichkeit der gesamten Schöpfung immer deutlicher wahrnimmt.

Die theologische und pastorale Herausforderung wird noch komplexer für Einzelne und christliche Gemeinschaften, wenn sie versuchen, Rede und Antwort zu stehen über die Hoffnung, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15), sobald die Welt, die vielen sicher erschien, zu bröckeln beginnt. In der Tat sehen sich die Glaubensgemeinschaften in der ganzen Welt heute mit äußeren und inneren Krisen konfrontiert, die typisch sind für Zeiten des Zusammenbruchs der Institutionen, die die modernen Gesellschaften geprägt haben, wie Familie, Schule, Staat, Demokratie und Religion. Interne Krisen der Letzteren, wie der sexuelle Missbrauch durch Geistliche und die Rückkehr des religiösen Fundamentalismus in verschiedenen Konfessionen, scheinen die Glaubwürdigkeit der Religionen so tief erschüttert zu haben, dass es keine Rückkehr zum traditionellen Modell der Heiligkeit mehr gibt. Äußere Krisen wie die des Anthropozäns und des Kapitalozäns verstärken das Gefühl des Verwaistseins in der gesamten Menschheit. Die Gewissheit göttlicher Gegenwart und göttlichen Handelns verschwindet selbst als Trost für die Naiven angesichts zunehmender ökologischer Zerstörung, erzwungener Migration und Hassverbrechen aufgrund von Rasse, sozialer Klasse und Geschlecht, die religiöse Gefühle manipulieren, um die sie stützenden Idolatrien zu erhalten.
Aus all diesen Gründen ist es an der Zeit, die fundamentale Erfahrung des liebenden Geheimnisses des Realen als mystische und ethische Quelle, die von den Religionen der Menschheit und insbesondere vom Christentum erforscht wurde, wieder aufzugreifen, um aus dieser Quelle des Lebens, der Würde, des Sinns und der Hoffnung zu schöpfen. Diese Erfahrung taucht aus den Tiefen der Nacht in jenen Menschen und Gemeinschaften auf, die sich mit liebevoller Radikalität um die anderen (die Nächsten und das gemeinsame Haus) kümmern und dabei bedingungslos auf das geheimnisvolle Leben vertrauen, das in ihnen mit einer überraschenden Kraft der Erlösung wohnt.

Die vorliegende Ausgabe von CONCILIUM, die fast sechzig Jahre nach der Gründung der Zeitschrift zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils der göttlichen Vorsehung gewidmet ist (ein Thema, das bereits in früheren Ausgaben behandelt wurde), möchte einen Beitrag zur gegenwärtigen theologischen Reflexion über jene liebende An-/Abwesenheit leisten, die Jesus von Nazaret und seine messianische Gemeinschaft dazu ermutigte, auf die bedingungslose Liebe des Abba zu vertrauen, »der seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und regnen lässt über Gerechten und Ungerechten« (Mt 5,45). Achtzig Jahre nach dem Trauma von Auschwitz, das paradoxerweise die Entwicklung des modernen theologischen Denkens sowohl gelähmt als auch hervorgerufen hat, stehen wir vor noch radikaleren Fragen – in dieser Stunde des globalen Verwaistseins, heimgesucht von systemischer Gewalt, die die Menschheit und das gemeinsame Haus erschüttert. Wo finden wir Grund zur Hoffnung auf die Liebe der göttlichen Vorsehung, die die heutige Gewalt transzendiert? Wer hilft uns, einen Funken des allliebenden Gottes in der Welt zu erahnen, seine lebendige Gegenwart zu entdecken? Welche Narrative, Grammatiken und Performativitäten der Erlösung lassen sich in diesen katastrophalen Zeiten artikulieren, in denen eine Welt zusammenbricht und eine andere in den Trümmern des extraktivistischen Kapitalismus, des heteronormativen Patriarchats, des weißen suprematistischen Kolonialismus und der Opferreligion entsteht, die die Erde zum Nutzen einer Minderheit der Menschheit kontrollieren wollten?

Diese Ausgabe von CONCILIUM enthält Stimmen und Analysen, die aus den Perspektiven von Philosophie, Bibelwissenschaft, systematischer Theologie und praktischer Theologie Horizonte eröffnen, um die Relevanz und Bedeutung der göttlichen Vorsehung in diesen unsicheren Zeiten zum Ausdruck zu bringen. Allen gemeinsam ist das Pathos der Unzufriedenheit mit der Beibehaltung des Paradigmas eines allmächtigen Gottes, das sich als unwirksam und unbeweglich im Kampf gegen das Böse erwiesen hat.

Der erste Teil des Hefts geht den philosophischen Fragen nach, die sich aus der Kenosis des göttlichen Logos als Quelle allen christlichen Denkens und Handelns ergeben. Es ist die Kenosis, die uns einerseits, wie Emmanuel Falque es ausdrückt, der Zerbrechlichkeit des Lebens als Geschenk des Andersseins aussetzt, das das eingeschlossene Selbst in ein Wesen verwandelt, das durch die »nichtvorsehende Vorsehung« Gottes völlig umgestaltet wird. Diese Erfahrung, kann, wie Paolo Gamberini meint, in einem post-theistischen Schlüssel gedacht werden, der sich zu einem »personalen Theismus« öffnet, demzufolge Gott in jedem Wesen aktiv ist. Diese intime Beziehung zwischen Gott und der Schöpfung verbindet uns mit der Vorstellung des christlichen Sonntags, den Kurt Appel als eine festliche Offenheit deutet, die die Freiheit in die Zeitlichkeit einschreibt.

Der zweite Teil des Hefts untersucht das biblische Narrativ, das der christlichen Erfahrung der göttlichen Liebe Ausdruck verleiht. Aus der Erfahrung der extremen Verletzlichkeit alles Menschlichen und Kreatürlichen, die von der theologischen Philosophie erforscht wird, entsteht eine Theologie der liebenden göttlichen Vorsehung, die der poetischen Vorstellungskraft des Jesus von Nazaret entspringt, wie Balázs Levente Martos uns in Erinnerung ruft. Dies ist jedoch nur möglich, wenn man die koloniale Geschichte der unterdrückten Völker mit einbezieht, ein Rahmen, in dem Rosemary Neves Silva das Lied des leidenden Gottesknechts in Bezug auf die Geschichte der kolonisierten afrobrasilianischen Frauen neu interpretiert, die den Ruf der Würde und der Hoffnung als einen Weg zu einem neuen Leben empfangen.

Der dritte Teil des Hefts nähert sich der göttlichen Vorsehung mithilfe einer aktuellen systematischen Reflexion, ausgehend von jenen Leidensgeschichten, in denen der Schrei zur göttlichen Sophia vernehmbar wird. Dieser Schrei gehört nicht der Vergangenheit an, sondern ist gegenwärtig, wo Menschen das Leben verweigert wird. Gott handelt in der Welt, wie Teresa Forcades uns erinnert, durch seine/ihre Ruach, die jeden Menschen dazu inspiriert, ihn/sie in Taten der Liebe in Freiheit zu begleiten. SimonMary Aihiokhai stellt das Leiden Gottes als Quelle des Mitgefühls und der Solidarität mit der leidenden Welt dar, in der sich ein machtloser Gott offenbart, der sich entäußert, um seiner providentiellen Liebe neu Gestalt zu verleihen. Es ist ein Schrei der universellen Liebe, der von den Opfern ausgeht, wie z. B. von den Frauen, die sich gegen die Prozesse und Strukturen der patriarchalen Exklusion zur Wehr setzen, so die feministische Reflexion von Kochurani Abraham. Sie schlägt vor, die Gottheit als einen syn-hodalen Gott wiederzuentdecken, der die Leidenden auf eine inkarnierte Weise begleitet, wie es das Zeugnis von Jesus-Sophia zeigt.

Im Theologischen Forum dieser Ausgabe sprechen Claudio Monge und Silvia Martínez Cano davon, dass im Engagement für das Leben trotz des Todes, der es umgibt, die Begegnung zwischen der Welt des Menschlichen und des Göttlichen auf dem Spiel steht. Sie regen an, den Aufruf des Konzils von Nizäa, das vor fast 1700 Jahren eine neue Grammatik formulierte, um beide Welten durch die Theologie des homoousious zu verbinden, kreativ zu überdenken. Sie sehen darin einen theologischen Weg, der zu verstehen sucht, wie die Menschheit und die verwundete Schöpfung durch das Geschenk Gottes der Inkarnation des göttlichen Logos umgestaltet werden können.

Aus all diesen Gründen kann die Theologie der göttlichen Vorsehung, die wir auf den folgenden Seiten erkunden können, in Zeiten globaler Ungewissheit nicht länger in jener Vision ahistorischer Kausalität gefangen bleiben, die das Göttliche mit dem Menschlichen zu vereinen suchte. Vielmehr eröffnet sie uns den Horizont, die kenotische Erfahrung der An- und Abwesenheit des lebendigen Gottes zu erforschen, der die Gerechten in der Geschichte und die Opfer der systemischen Gewalt aller Zeiten begleitet, um »das Böse mit Gutem zu überwinden« (Röm 12,21). In diesem Sinne erlaubt uns die Perspektive der verletzlichen Subjektivitäten und Körper, die Widerstand leisten und wieder existieren, in ihrer existentiellen Tiefe das maximale Oxymoron des Christentums zu verstehen, das darin besteht, einen gekreuzigten Messias zu verkünden – eine lebendige Metapher, die neue Felder der Bedeutung und des performativen Handelns eröffnet, um in dieser Welt inmitten der langen Nacht des Anthropozän-Kapitalozäns mit Hoffnung zu leben.

Sehen wir die in diesem Heft versammelten Beiträge als eine Runde des scharfen, kritischen und klugen Austauschs, Ausdruck einer hoffnungsvollen Reflexion, die den Quellen des Christentums entspringt und zur Quelle des göttlichen Lebens zurückkehrt, das die Menschheit und die gesamte Schöpfung bewohnt, damit wir, der Vorstellung Jesu folgend, diese verborgene, aber reale Gegenwart des lebendigen Gottes empfangen und verkünden können, die Jesus durch die Kraft der göttlichen Ruach angeboten hat, die ihn dazu ermutigte, sich sein ganzes Leben lang hinzugeben, damit alle »das Leben haben und es in Fülle haben« (Joh 10,10).
Aus dem Englischen übersetzt von Norbert Reck

Falque, Die nichtvorsehende Vorsehung.pdf

Martos, Kein Haar wird euch gekrümmt werden (Lukas 21,18).pdf

Abraham, Begegnung mit dem syn-hodalen Gott.pdf

Zusammenfassungen des Heftinhalts.pdf

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